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Einladung #128

#128 kinokis mikrokino präsentiert: Zelimir Zilnik
EIN GASTARBEITER IM PARADIES
Dienstag 4.10.2005, 20:00, freier Eintritt.
depot, Breite Gasse 3, 1070 Wien, http://www.depot.or.at/
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Öffentliche Hinrichtung
Buch und Regie: Zelimir Zilnik, BRD 1974, dt. Originalversion, 9 Minuten, VHS.

Paradies - Eine imperialistische Tragikomödie
Buch und Regie: Zelimir Zilnik, Kamera: Andrej Popovic, Darsteller: Michael Straleck, Dan van Husen, Gisela Siebauer, Natasa Stanojevic, Filiz Jakub. BRD 1976, dt. Originalversion, 65 Minuten, VHS.

Zwei der Filme, die der jugoslawische Filmemacher Zelimir Zilnik als Gastarbeiter in Westdeutschland drehte, nachdem er wegen "Rani Radovi" ("Frühe Werke") in Jugoslawien in Ungnade gefallen war. "Öffentliche Hinrichtung" montiert polizeiliches Dokumentationsmaterial und setzt sich mit der Eskalation von Gewalt am Beispiel einer Geiselnahme nach einem Banküberfall auseinander. Im "Paradies" ist es die Konzernchefin selbst, die aus
unternehmensstrategischen Gründen ihre Entführung durch eine anarchistische Gruppe inszeniert. Zilniks filmische Parodie auf die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni ist eine leichtfüßig-poetische Demontage des staatsdienlichen Stadtguerillamythos und damit noch viel staatsfeindlicher als das
paranoid verfolgte Sympathisantentum: Das in Terrorismushysterie verfallene deutsche Establishment ertrug Zilniks
anarchisch-analytischen Humor so wenig, dass er wegen des Filmes aus der Bundesrepublik ausgewiesen und mit einem Aufenthaltsverbot belegt wurde.

In Anwesenheit von Zelimir Zilnik.


Ein Gastarbeiter im Paradies

kinoki-Interview mit Zelimir Zilnik, September 2005
Fragen: Tina Leisch und Ljubomir Bratic, Übersetzung: Jasmina Jankovic, Redaktion: Peter Grabher

Wann und warum bist du in die Bundesrepublik Deutschland gegangen?

Im Herbst 1973. Schon fünf Jahre lang waren meine Filme in Frage gestellt worden: Zuerst wurden meine Dokumentarfilme „Nezaposleni ljudi“ („Die Arbeitslosen“, 1968) und „Lipanjska gibanja“ („Juni-Aufruhr“, 1969) zensuriert, dann fand der Gerichtsprozess gegen „Rani radovi“ („Frühe Werke“, 1969) statt. Und im Jahr
1972, in der allgemeinen Kampagne gegen den neuen jugoslawischen Film, der als „Schwarzfilm“ bezeichnet wurde, wurden alle Filme, die ich bis dahin gemacht hatte, aus dem Vertrieb zurückgezogen. Die Produktion meines zweiten Langspielfilms „Sloboda ili strip“ („Freiheit oder Comicstrip“) wurde gestoppt. Die Sozialversicherung teilte mir mit, dass ich, „da ich nicht mehr als Künstler öffentlich wirke“, auch keine Sozialversicherung haben kann. Daraufhin ging ich den gleichen Weg, den in diesen Jahren hunderttausende Arbeitslose aus Jugoslawien gingen - ich wurde
Gastarbeiter.Ich dachte, ich werde irgendeine Arbeit finden, und vielleicht wird es mir gelingen, auch Filme über diesen Massenexodus zu machen. Deutschland wirkte für mich herausfordernd aus noch zwei Gründen.
Erstens: Kapitalismus und Sozialismus, Marxismus und Faschismus sind aus diesem Land während des 20. Jahrhunderts auf den Balkan „übergelaufen“. Zweitens: Die Selbstzerstörung, in die Deutschland im Ersten und besonders im Zweiten Weltkrieg gesunken ist, brachte mich zum Nachdenken über diese selbstzerstörerische
Energie, die mit einer ähnlichen Dosis von Narzismus versetzt war, wie ich sie in unmittelbarer Nähe, im Realsozialismus, beobachtet habe - besonders nach 68.

Wie waren die Arbeitsbedingungen für dich als „filmischer Gastarbeiter“? Konntest du in der BRD gleich Filme machen oder mußtest du erst Teller waschen und Straßen kehren?

In den ersten Wochen habe ich mit meinem Freund Andrej Popovic Autos repariert. Wir sind an die Münchener Uni in Schwabing gegangen und haben an der großen Anzeigentafel geschaut, wer eine Reparatur von Getrieben und Bremsen sucht. Andrej hatte früher in Heidelberg studiert und arbeitete für mich als Kameraassistent. So fühlte ich
mich mit ihm nicht verloren in Deutschland. Wir kannten auch einige Kritiker und Fernsehredakteure, da ich mit meinen Kurzfilmen schon einige Preise in Oberhausen bekommen hatte, sogar den Großen Preis für „Die Arbeitslosen“, sowie den Goldenen Bären in Berlin für „Frühe Werke“.Wir erfuhren, dass zu dieser Zeit in Deutschland Nachfrage nach Kurzfilmen bestand, die dann in den Kinos als „Pflichtprogramm“ vor den Spielfilmen gezeigt wurden. Und wenn der Kurzfilm von der Bewertungsstelle das Prädikat „besonders wertvoll“ oder „wertvoll“ bekam, war der Vertreiber von der Steuer befreit. Für die Bewertung „besonders wertvoll“ bekam der Produzent vom Fonds
eine sehr stimulierende Prämie extra, ich glaube das waren damals etwa 30.000 Mark. So haben wir nach ein paar Wochen Dokumentarfilme gedreht. Zuerst über Gastarbeiterthemen - „Antrag“, „Hausordnung“, „Inventur“, „Abschied“. Alle Filme waren produktionstechnisch einfach, fast minimalistisch, da die Produzenten immer betont haben, dass sie „das Geld aus ihrer eigenen Tasche geben“.

Was war der Anlass für dich „Öffentliche Hinrichtung“ zu drehen?

In den Nachrichten des deutschen Fernsehens sah ich oft „Polizeiaktionen gegen die Stadtguerilla“. Manchmal sah es aus wie in einer Filmszene: Das Team kommt, die Scheinwerfer werden eingeschaltet, dann die Kameras. Dann werden die Verdächtigen aufgefordert, herauszukommen, und dann wird auf sie geschossen.Später wurde herumerzählt, dass Andreas Baader und Gudrun Ensslin getötet wurden, indem sie aus ihren Zellen herausgebracht wurden, als das Flugzeug entführt wurde, um ihre Freilassung zu erzwingen. Diese Version lautete: Die beiden seien zum Flughafen Entebbe in Afrika gebracht worden, wo ihnen erlaubt worden sei, ins Flugzeug ihrer Anhänger hineinzukommen. Dann hätten die Polizeikommandos das Flugzeug gestürmt und ziemlich viele Menschen erschossen - unter ihnen auch die zwei Gefangenen aus Stammheim. Diese „Gerüchte“ haben nicht irgendwelche Clochards und Säufer verbreitet, sondern unter anderem Jean-Paul Sartre und Schily, der heutige Innenminister
Deutschlands, damals ein Rechtsanwalt und „radikal engagiert im Kampf für Menschenrechte“.

Wie hast du das gesellschaftliche Klima und insbesondere die Diskussionen in der westdeutschen Linken erlebt?

Ich war im Kreis um den Filmverlag der Autoren in München. Damals waren da Kluge, Reitz, Ulla Stockl, Werner Herzog, Brustellin, Sinkel - Syberberg kannte ich auch. Fassbinder haben wir eingeladen, die männliche Hauptrolle in „Das Paradies“ zu spielen, und die weibliche Hauptrolle war für Hanna Schygulla vorgesehen. Der Film
wurde für Telepool aus München vorbereitet, eine Firma, die mit dem Bayerischen Fernsehen verbunden war. Aber ein paar Wochen vor dem Beginn der Dreharbeiten verloren die Sozialdemokraten die Macht in München, der Direktor von Telepool wurde abgesetzt und das Filmbudget drastisch reduziert, sodass der Film unter underground-Bedingungen gemacht wurde, ohne die Möglichkeit, normale Honorare zu zahlen.Ich kann „das Klima“ nicht präzise beurteilen - aber ich spürte bei Filmautoren positive Energie, auch die Ambition und den Wunsch, eine Kontinuität mit den klassischen Filmen Deutschlands herzustellen. Aber man spürte auch einen gewissen Konformismus, das
Vermeiden von polemischen Themen. Was die Linken direkt betrifft, so hatte ich viele Diskussionen und habe versucht, mit einigen zusammenzuarbeiten, z. B. mit dem „Theater K“ aus München. Wir sind aber auseinander gegangen, da sie einen dogmatischen Zugang hatten, ohne auf Lebenserfahrungen Rücksicht zu nehmen. Nach einigen Proben scheiterte das Projekt „Gastarbeiter der Oper“. Später habe ich dieses Projekt im Theater in Novi Sad realisiert.

Wie bist du auf die Idee gekommen, in deinem Film „Paradies“ eine Konzernchefin zu erfinden, die ihre Entführung durch Terroristen inszeniert?

Das entstand in jener Atmosphäre, die ziemlich heiß und hysterisch war. Die Medien haben berichtet, dass der Abgeordnete der Christdemokraten aus Berlin, Lorenz, 14 Tage als Geisel der Terroristen verbracht, diese dann überlistet und dank seiner Tapferkeit und Schlauheit es geschafft hat, sich zu befreien. Er machte eine große Kampagne darüber. Die Wortwahl glich ungewöhnlich diesen bürokratischen Parolen, die ich nur einige
Jahre früher hörte, als die sozialistischen Apparatschiks „mit den Feinden abrechneten“ und sich selbst als Propheten „des unumgänglichen historischen Progresses“ darstellten.

Wie waren die Reaktionen auf diesen Film? Von Behörden und Institutionen? Von Seiten der Linken?

Der Film wurde zur Bewertungsstelle geschickt und von dort bekamen wir die Mitteilung, dass ihn vorher die „Freiwillige Selbstkontrolle“ - von der wir gar nicht wussten - gesehen und festgestellt hat, dass der Autor die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der BRD nicht versteht.Die Premiere war in München, im Werkstattkino, Ende Frühling 1976. Sehr gespannte Stimmung, schon während des Films und besonders am
Ende. Alle haben mit dem Kopf geschüttelt, und viele sind leise weggegangen. Später hat die Polizei mich und Andrej verhört, ob wir Kontakte zur „Rote Armee Fraktion“ hätten. Bei der Durchsuchung wurde nichts gefunden, aber wir haben unsere Steuerpapiere während der Filmproduktion verschlampt, und so bekamen wir den Bescheid,
Deutschland innerhalb von zwölf Stunden zu verlassen.

Was war dein Eindruck von den bewaffneten Aktionen der Stadtguerillagruppen?

Diese Sache muss man in einen realen Kontext stellen. Und der Kontext ist der Druck der „Restauration“, der im Westen nach 68 entstanden ist. Die Hoffnung, dass die Hierarchie erschüttert wird und dass Änderungen geschehen werden, war erloschen. Lügen und Manipulationen sind wieder zur Sprache der politischen Klasse geworden. Erinnert euch, wie in den USA, wo die Politik doch am offensten ist, Präsident Nixon beim Lügen, Betrügen und Fälschen ertappt und deshalb abgesetzt worden ist. Und in Deutschland hat die Ideologie des „humanen“ Prosperitätskapitalismus, des Wirtschaftswunders den Punkt auf das Hinterfragen der faschistischen
Vergangenheitserfahrung gesetzt. Und es kam zu wenigen verzweifelten Reaktionen. Übrigens denken wir heutzutage alltäglich über unzählige destruktive Vorfälle nach, vom Irak bis Madrid und London.

Welche Möglichkeiten stehen heutzutage für einen sozialen Kampf noch offen und was kann die Rolle der Künstler und Künstlerinnen dabei sein?

Meine Erfahrungen sind ziemlich optimistisch. Wenn man sich dazu entscheidet, einfache Produktionen zu machen, ohne große Budgets und zu jenen Themen, die der Mainstream-Film meidet, kann man „ein anderes Publikum“ finden, das dich auch versteht. Ich glaube, dass das ganze Medium „der bewegten Bilder“ neue Räume erobert, dank
der digitalen Technologie und des Internets. In einigen Jahren wird die Hollywood-Produktion von Kriegs- und Action-Spektakeln als ein Medium betrachtet werden, das eher dem Zirkus oder einer Tanzsession um eine Stange in einer Nachtbar ähnelt.

Link:
Zelimir Zilniks Homepage
http://www.zelimirzilnik.net/


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